Hansegravel Teil II

Nach einer sehr unruhigen Nacht mit wenig Schlaf entscheide ich mich um halb 6 aufzustehen. Zu viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, zu viel habe ich die Strecke vom Vortag noch zu verarbeiten, zu fertig ist mein Körper. Ich habe keine Ahnung, wie ich weiter fahren soll an diesem zweiten Tag. Rad kurz checken, etwas Öl auf die Kette, Taschen wieder befestigen und zum Frühstück.

Um 7:18 sitze ich bei noch leicht bewölktem Himmel wieder auf dem Rad, deutlich kühler als am Vortag ist es. Eher mein Wetter. Ich rolle langsam los Richtung Priwall-Fähre, bin dort das einzige Mal bewußt dem Track nicht treu – keine 500m zurück und auf den Panoramaweg sondern auf direktem Weg „vorwärts“ auf den Track.

Auf der Fähre treffe ich einen Mit-Graveler, der erst am Morgen mit dem Zug nach Travemünde gekommen ist und „hinterher“ gefahren ist. Leider weiß ich weder Namen noch „Startnummer“. Auf den Wegen durch Priwall habe ich ihn schnell aus den Augen verloren. Was ist nur aus dem kleinen verschlafenen Priwall geworden, welches ich 1995 bei meiner Abi-Tour kennengelernt habe? Wo sind die kleinen Holzhütten in den „Schrebergärten“ geblieben? Warum hat man alles mit modernen Ferienhäusern zugepflastert? Sah das 2005, als ich das letzte Mal hier war, auch schon so aus? So hat Priwall einen Teil seines Charmes und Reizes für mich verloren. Also „schnell“ weiter. Heute ist die ehemalige Grenze nicht mehr zu erkennen, auch das war schon mal anders. Jetzt bin ich also in Mecklenburg Vorpommern.

Endlich sind die Wege so, wie ich sie mir für eine Gravel-Tour erwartet habe. Schotterstraßen in unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen. Feiner Schotter, grober Schotter, Sand mit Schotter, fester Schotter, loser Schotter… Rechts von mir regnet es ordentlich, werde ich trocken bleiben? In Kirch Mummendorf Ausbau kommen Blitz und Donner in der Ferne dazu. Schnell weiter!

Wie so Viele vor mir verpasse ich kurz vor Kirch Mummendorf den Track und schiebe quer über den frisch gepflügten Acker. Fahren für mich zumindest unmöglich. Nicht zum ersten Mal verfluche ich denjenigen, der sich diesen Mist ausgedacht habe. Bis ich dann unten an der Straße sehe, dass es wohl mein Fehler war und nicht der Trackplaner Mist gebaut hat.

In Kirch Mummendorf erwischt mich dann doch noch der Regen. Ich stelle mich an einer Scheune unter und ziehe meine Regenjacke an. Als ich mit anziehen fertig bin ist es schon wieder Trocken und ich fahre mit Jacke weiter. Nach wenigen KM halte ich an und ziehe mich wieder um. So kann man die Zeit auch verbringen.

Die Wege werden jetzt auch wie angekündigt sandiger. Wie auch immer man das fahren soll – mit einem Fatbike vielleicht, mit meinem aktuellen Setup: Unfahrbar. Also Schieben, Schieben, Schieben.

Durch die sichere Erkenntnis des ersten Tages, dass ich den Hansegravel nicht komplett schaffen werde bin ich heute viel entspannter. Das Schieben stört mich nicht, der Acker stört mich nicht, der Sand stört mich nicht, ich versuche auch nicht mehr, auf den „flachen“ und gut fahrbaren Strecken Tempo zu machen sondern fahre einfach nur gleichmäßig im Schneckentempo weiter.

Nach 3 Stunden erreiche ich Grevesmühlen (33km geschafft heute) – Zeit für Kaffee und Kuchen!

Nach Grevesmühlen geht es eine lange Treppe hoch, zum Glück mit „Schieberinne“ neben der Treppe. Leider bleibe ich auch hier öfter mit meiner Packtasche an Ästen und ähnlichem hängen. Oben genieße ich kurz den Ausblick auf den Klützer Winkel, später sehe ich, dass das hier wohl ein beliebter Übernachtungs-Spot war. Hier treffe ich Christoph aus Celle, mit dem ich die nächsten KM bis Wismar gemeinsam rollen werde. Ich bremse ihn nur aus, aber er scheint das zusammenfahren sehr zu genießen nach seinem Sturz am Start.

Kurz vor Wismar kommen wir dann direkt an die Ostsee und machen erstmal eine kleine „Zigarettenpause“. Auch das Essen klappt heute viel besser, regelmäßig Studentenfutter hilft ungemein. Auf dem Weg am Wasser entlang dürfen wir dann „bestaunen“, was die modernen E-Bikes so können. Absteigen im tiefen, losen Sand? Nicht erforderlich, einfach mit niedriger Drehzahl durch, den Rest erledigt schon der Motor…

Ich habe schon lange beschlossen, in Wismar eine Mittagspause mit warmen Essen einzulegen (nach ca. 60 km und über 5 Stunden unterwegs keine schlechte Idee…). Daher verabschiede ich mich am Ortseingang von Christoph und fahre wieder etwas langsamer weiter, während er mir schnell enteilt. Leider hab ich seitdem nichts mehr von ihm gehört und gesehen, ich hoffe Du bist gut nach Stettin gekommen. Am Hafen treffe ich einige andere Graveler, die sich gerade wieder auf die Abfahrt vorbereiten. Bin also noch lange nicht alleine unterwegs. Ich freue mich, als ich Wismar endlich hinter mir lassen kann und wieder die Ruhe genießen kann. Mit Blick aufs Wasser setze ich mich auf eine Bank und beschließe, die kommende Nacht voraus zu planen und buche ein Zimmer in Bad Doberan. Das Wissen, noch ca. 50 km vor mir zu haben setzt neue Kräfte frei. So mache ich mich langsam aber gleichmäßig wieder auf den Weg.

Langsam komme ich in den langersehnten Flow, genieße einfach nur noch das Wetter, die Landschaft und die Einsamkeit. Ja wirklich, die Einsamkeit – nur ich, mein Rad, die Natur und meine Gedanken – HERRLICH! Immer froh, einen Ort zu erreichen, mal an einem Haus oder auf dem Friedhof die Trinkflaschen füllen und ein freundliches „Moin“ oder ein kurzes Gespräch. Und dann wieder: RUHE! Hasen, Rehe, Wildschweine, Adler und Bussarde. Und ich.

Trotzdem ist bei Jörnstorf beim Queren der B105 die Versuchung groß, auf den gut ausgebauten Radweg abzubiegen. Der Wegweiser verspricht, dass Bad Doberan in 16 km erreicht ist – Die für mich sehr hilfreiche „Marschtabelle“ verspricht noch ca. 20 km. Verlockend! Aber der Track ist der Track… Also die Bundesstraße und die Bahntrasse queren und ein weiteres Kleinod des Wegebaus bewundern. Einfach mal gerade über einen Wiesenhang hinauf hatten wir noch nicht – eine Fahrspur war aber erkennbar und nicht nur von uns Hansegravelern…

Danach kommt für mich das Strecken-Highlight des 2. Tages. Gut ausgebaute Schotterpisten mit wenig Schlaglöchern, teils mal mit Beton-Fahrspuren, teils mit Gras-Streifen in der Mitte. Einfach toll zu fahren.

Als dann noch ein Trecker mit Güllefass auf einem schönen Sandweg die Verfolgung aufnimmt, werde ich gleich noch ein bisschen „schneller“. Vom Schneckentempo zum Kriechgang, aber das ist mir egal!

So vergehen die letzten 20 km gefühlt wie im Flug, auch wenn ich in der Realität noch 1,5 Stunden dafür brauche. Auch dank der schönen Ortsdurchfahrt in Kröpelin. Wer will schon den direkten Weg an der Hauptstraße entlang nehmen, wenn es auch einen schönen Kopfsteinpflaster-Anstieg zum Bahnhof mit entsprechender Kofpsteinpflaster-Abfahrt gibt? Zum Glück hat mich niemand fluchen gehört…

Schließlich rolle ich die letzten KM nach Bad Doberan rein, Etappenziel geschafft. Am Abend treffe ich mich noch mit Schwester und Schwager zu einem kurzen Abendsnack. Sie machen Urlaub in Warnemünde und haben es sich nehmen lassen, mit dem Taxi nach Bad Doberan zu kommen, um mich zu sehen und zu unterstützen. DANKE dafür!

WP Strava ERROR strava_info should be an array, received: false

Strava-Link: https://www.strava.com/activities/2325865159


Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Hansegravel Teil II

  1. Burkhard sagt:

    Hi Michael,
    nun auch gleich Teil II gelesen, und mit dir gelitten und gefreut (die schönen Streckenabschnitte).

    Ride on. Meine Lust steigt und „der track ist der track“, das würde mir auch so gehen.
    Grüße,
    Burkhard

  2. Pingback: Hanse Gravel 2019 – UNTERWEGS auf 2 RÄDER

  3. Max Zimmermann sagt:

    Hallo und Danke für den wertvollen Post! Sehr schön Blog.

Schreibe einen Kommentar zu Burkhard Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert